Kristallradio
Sign.: MNS KW 19112, EI/5526
Material: Holz, Ebonit, Bakelit
Maße: Kasten: 14 x 16 x 5,5 cm
Datierung: 20er Jahre des 20 Jhd.
Ursprungsort: Neu Sandez (Nowy Sącz)
Die Volksschule aus dem Dorf Nowe Rybie im Landkreis Limanowa (powiat limanowski) ist ein Objekt, welches sich von anderen Gebäuden im Freilichtmuseum von Neu Sandez (Nowy Sącz) unterscheidet. Es wurde an der Wende von den 1920er zu den 1930er Jahren erbaut und beherbergt zwei Klassenräume, ein Büro sowie die Wohnung des Lehrers. Eines der Zimmer wurde für die Nachkriegszeit, also die 1950er Jahre, eingerichtet, da die Schule bis in die 1960er Jahre in diesem Gebäude untergebracht war. Die verbliebenen Zimmer sind mit Möbeln aus der Zwischenkriegszeit ausgestattet. Der Wohnbereich für den Lehrer, bestehend aus Flur, Küche und Zimmer, hebt sich durch seinen kleinbürgerlichen Charakter von den anderen Dorfhäuschen ab. Dort finden sich verschiedene Gegenstände und Elemente der Innenausstattung, die man in den für die damaligen Dorfbewohner typischen Häusern des Sandezer Landes (Sądecczyzna) vergeblich suchen würde. Ein Beispiel hierfür befindet sich im Lehrerzimmer, auf dem Schrank neben dem Bett. Es handelt sich um einen nicht sehr großen, rechteckigen, braunen Kasten, der mit Buchsen für Kabel, einem runden Knopf und mehreren zusätzlichen Elementen ausgestattet ist, deren Zweck für einen Laien schwer zu erraten ist. Der Kasten wird durch schwarze Kopfhörer aus Ebonit auf einem Aluminiumbügel ergänzt. Dank der Kopfhörer können Laien aber schließlich auch erraten, was dieses geheimnisvolle Gerät ist – ein Funkempfänger. Wenn wir an einen Radioempfänger aus der Zwischenkriegszeit denken, stellen wir uns für gewöhnlich ein großes Gerät vor, oft in einem verschnörkelten Gehäuse, kostspielig und an das Stromnetz angebunden. Ein solches Bild passt nicht wirklich zu der bescheidenen Behausung eines Dorflehrers in einer kleinen Stadt in der Nähe von Limanowa zu einer Zeit, als die Elektrifizierung die meisten Dörfer in Polen noch nicht erreicht hatte. Es stellt sich jedoch heraus, dass in der Zwischenkriegszeit populäre und billige Radioempfänger auf den Markt gebracht wurden, die weder Strom aus dem Netz noch Batterien benötigten! Der Empfänger in der Schule in Nowe Rybie ist ein Beispiel für ein solch geniales Gerät. Es handelt sich um ein sog. Kristallradio. Was war dieser „Kristall“ und wie funktionierte er? Vor der Beantwortung dieser Frage sollte man sich die wichtigsten Fakten aus der Geschichte des Rundfunks Revue passieren lassen. Radiowellen sind einer der Bereiche elektromagnetischer Wellen, die im gesamten Universum vorkommen und uns von überall her umgeben. Dazu gehören sichtbares Licht, ultraviolettes und infrarotes Licht, Mikrowellen, Röntgen- und Gammastrahlen, wobei sich die einzelnen Arten nur durch ihre Schwingungsfrequenz unterscheiden. Die Existenz elektromagnetischer Wellen wurde 1864 von dem schottischen Forscher James Clerk Maxwell theoretisch beschrieben und 1887 von dem deutschen Wissenschaftler Heinrich Rudolf Hertz empirisch nachgewiesen. Bald darauf wurden Radiowellen in der Praxis angewandt mithilfe von „Telegrafen ohne Draht“. Der Pionier auf diesem Gebiet war der berühmte Erfinder serbischer Herkunft Nicola Tesla. Sein Traum war es, ein Gerät zur drahtlosen Übertragung von Elektrizität mithilfe von Radiowellen zu entwickeln. Bereits 1898 ließ er sich die Fernsteuerung über Radiowellen patentieren. Tesla gelang es, eine Hochspannungsspule zum Senden elektromagnetischer Wellen zu konstruieren, woraufhin er mit dem Bau eines Radioempfängers begann. Seine Idee wurde von Guglielmo Marconi aufgegriffen, der zuvor ein Patent für ein Radio erhalten hatte und 1901 ein Radiosignal über den Atlantik schickte. Erst in den 1940er Jahren, bereits nach Teslas Tod, wurden ihm vom Obersten Gerichtshof der USA die Patentrechte zuerkannt. Die ersten Radioübertragungen von Ton und Musik fanden im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts statt, die erste regelmäßige Radiosendung wiederum wurde 1920 in den Vereinigten Staaten ausgestrahlt. In Polen hingegen wurde am 1. Februar 1925 erst zur Probe und im darauffolgenden April der reguläre Sendebetrieb aufgenommen. Im Mai 1931 wurde in Raszyn eine Sendestation in Betrieb genommen, die damals die stärkste in Europa war und 90 % des damaligen Polens abdeckte. Die ersten Kristalldetektor-Radioempfänger erschienen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Kristalldetektor zur Erkennung von Radiowellen war das erste Halbleiterelement, das in der Technik verwendet wurde. Er wurde aus Kristallen mit Halbleitereigenschaften, in der Regel Bleiglanz (ein natürliches Mineral, Bleisulfid) und synthetischen Kristallen, hergestellt. Seit dem Zweiten Weltkrieg werden Germanium-Flügeldioden verwendet. In Kristalldetektoren wurde der Übergang an der Kontaktstelle zwischen dem Kristall und einem dünnen Stahldraht hergestellt. Der Draht war in einen Manipulator eingebettet, der es ermöglichte, einen Punkt auf der Oberfläche des Kristalls mit den besten Eigenschaften zu finden. Die wichtigsten Vorteile der Kristallradios waren ihre einfache Bauweise (mit den richtigen Materialien konnte man sie sogar selbst bauen) und ihre Unabhängigkeit von Stromquellen, denn der Empfänger bezog seine gesamte Energie aus der Antenne (die jedoch sehr groß sein und über eine solide Erdung verfügen musste). Allerdings war der Ton recht schwach (die Energie reichte nur für den Betrieb der Kopfhörer), der Empfänger wiederum konnte nur das nächstgelegene und stärkste Radiosignal empfangen (obwohl dies zu Zeiten, als nur ein Programm ausgestrahlt wurde, keine große Rolle spielte). Im Laufe der Zeit, als die Elektrifizierung voranschritt, wurden die Kristallradios durch bessere Röhrenempfänger ersetzt. In der Zwischenkriegszeit waren jedoch einfache Detektorradios im noch wenig elektrifizierten Polen sehr beliebt, ihre Besitzer zahlten wiederum geringere Rundfunkgebühren als die Nutzer von Röhrenempfängern. Die bekanntesten Empfänger, die zu dieser Zeit in Polen hergestellt wurden, waren die „Detefons“. Das in unserem Freilichtmuseum ausgestellte Radio hat Kopfhörer der Marke „Detefon“, während der Empfänger selbst ein anderes Modell eines nicht näher genannten Herstellers ist. Kristallempfänger erwiesen sich als besonders nützlich in Gebieten, in denen es keinen Zugang zu Elektrizität gab. Dabei sollte betont werden, dass die Elektrifizierung in Polen ein Prozess war, der sich über mehrere Dutzend Jahre erstreckte und von Region zu Region unterschiedlich verlief.
Die Kontraste zwischen den verschiedenen Gebieten des Landes wurden besonders in der Zwischenkriegszeit deutlich, als die Unterschiede in der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung der Gebiete der damaligen Republik Polen durch die Ergebnisse der Teilungen Polens in drei verschiedene Teilstaaten im 19. und frühen 20. Jahrhundert sichtbar wurden. In dieser Zeit entwickelte sich eine Mehrheit der europäischen Länder sehr intensiv gesellschaftlich, wirtschaftlich und vor allem technologisch. Eine der größten Schwierigkeiten, die der junge polnische Staat zu überwinden hatte, war die Vereinigung der Gebiete der drei ehemaligen Teilungen und die Vereinheitlichung verschiedener Bereiche ihrer Funktionsweise, einschließlich der Infrastruktur. So waren etwa ein halbes Tausend Dörfer in der preußischen Teilung bereits vor dem Ersten Weltkrieg elektrifiziert worden, während die russischen und österreichisch-ungarischen Behörden außerhalb der größeren Städte keine Elektrifizierung durchführten. Die Zwischenkriegszeit war zu kurz, um diese Gräben zu überbrücken und den langjährigen Rückstand aufzuholen. Ende der 1930er Jahre stand die Elektrizität hauptsächlich den Bewohnern von Schlesien (Śląsk), Pommern (Pomorze), Teilen von Masowien (Mazowsze) und Großpolen (Wielkopolska) zur Verfügung. In anderen Teilen Polens wurde nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Dörfer elektrifiziert. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren es rund 1.250, also weniger als 5 % der Gesamtbevölkerung des Landes. Kurz nach Kriegsende hatten etwa 3.500 Dörfer Zugang zu Elektrizität (8 % im nationalen Maßstab). Woher kam dieser Sprung? Er war schlichtweg das Ergebnis der sich verändernden Grenzen. Polen verlor zwar im Zuge des Krieges seine östlichen Gebiete, erhielt jedoch im Westen und Norden neue hinzu, die zuvor zu Deutschland gehört hatten. Diese neugewonnen Gebiete verfügten über eine gut entwickelte Infrastruktur. Nach dem Krieg begannen daraufhin die Arbeiten zur Elektrifizierung des gesamten Landes. Zu Beginn dieses Zeitraums rückte auch das Problem der Wiederherstellung der im Krieg zerstörten Anlagen in den Vordergrund. Neben den Gebieten, die bisher nicht elektrifiziert worden waren, gab es auch Bauernhöfe und sogar ganze Siedlungen, die bei den früheren Kampagnen ausgelassen worden waren. Kurz nach dem Krieg gab es in der Woiwodschaft Krakau (województwo krakowskie) Gemeinden, in denen ca. 25 % der Haushalte bereits Strom hatten (Chrzanowski – ein Industriegebiet, Nowy Targ – dank einer Hochspannungsleitung nach Zakopane) und Landkreise ohne ein einziges elektrifiziertes Dorf (Limanowski, Proszowice, Suski). Im Landkreis Neu Sandez (powiat nowosądecki) war nach den Daten von 1945 nur ein Dorf elektrifiziert. In diesem Gebiet erreichte der Strom erst die Bewohner der Vorstadtgebiete um Neu Sandez (Anschluss an das Stromnetz im Stadtgebiet) und Rożnów (Nähe zum Wasserkraftwerk). Im Jahre 1960 waren die Dörfer in den westlichen Provinzen zu über 90 % elektrifiziert, während dieser Anteil in Mittel- und Ostpolen noch unter 50 % lag. In der damaligen Woiwodschaft Krakau hatten 67 % der ländlichen Haushalte Zugang zu Elektrizität, im Landkreis Neu Sandez (nach dem Stand vom Oktober 1959) jedoch nur 30 %. In den folgenden 10 Jahren verbesserte sich die Situation erheblich. Im Jahre 1970 hatten nur noch 15 % der Haushalte keinen Strom, was vor allem durch ihre abgelegene Lage und die Schwierigkeiten bei der Installation bedingt war. In der Woiwodschaft Krakau wurden über 92 % der landwirtschaftlichen Betriebe elektrifiziert. In den folgenden Jahren wurde die Elektrifizierung der polnischen Dörfer abgeschlossen, wenngleich es in den 1990er Jahren immer noch vereinzelte Punkte, Kolonien und Bauernhöfe in unzugänglichen Regionen gab, in denen es keinen Strom gab. Obwohl wir uns heute ein Leben ohne Elektrizität nur schwer vorstellen können, war dies noch in jüngster Vergangenheit die Realität in vielen Dörfern des Sandezer Landes. Eine solche ländliche Welt ohne Strom wird in der Ausstellung des Sandezer Ethnografischen Parks (Sądecki Park Etnograficzny) dargestellt. Wir zeigen zudem, wie sich diese alte Welt veränderte. Im Schulgebäude von Nowe Rybie können Besucher sowohl einen Kristallempfänger sehen, der zu einer Zeit geschaffen wurde, als der Zugang zu Elektrizität ein seltener Luxus war, als auch elektrische Beleuchtung, die installiert wurde, als die Elektrifizierung die Dörfer in der Region um Limanowa und Sandez in der Nachkriegszeit erreichte. Ein weiteres Beispiel ist das Gebäude der Mühle von Kamienica im Teil für industrielle landwirtschaftliche Anlagen, mit einer für die Nachkriegszeit dekorierten Inneneinrichtung und elektrischen Lampen, einem Zeugnis für die Elektrifizierung des Dorfes Kamienica in den 1960er Jahren. Abschließend sei noch erwähnt, dass sich statistischen Angaben zufolge die Zahl der Röhrenradios, die die Einwohner polnischer Dörfer besaßen, zwischen der Mitte der 1950er und 1960 versechsfachte (womit auch Strom benötigt wurde), sodass diese Zeit das endgültige Ende der Popularität von Kristallempfängern bedeutete, die nur als faszinierende technische Kuriosität in die Geschichte eingingen.
Tafel „Aus dem Leben der einstigen Slawen – die ursprüngliche Landschaft Polens“
Sign.: MP/2865
Maße: Breite 64,5 cm, Höhe 47 cm
Datierung: 1934
Ursprungsort: Krynica-Zdrój (Landkreis Neu Sandez (powiat nowosądecki), Woiwodschaft Małopolska (województwo małopolskie))
Die in der Zweiten Republik eingeführte Schulpflicht ermöglichte es Kindern auf dem Land, am Unterricht teilzunehmen. Neben der Vermittlung von Grundkenntnissen und Wissen über die Welt lag der Schwerpunkt auf dem Geschichtsunterricht und der Herausbildung einer patriotischen Einstellung bei der jungen Generation. Dem wurde aus der Sicht des neugegründeten Staates, dessen Bevölkerung jahrzehntelang gegen die Germanisierung und Russifizierung durch die Teilungsmächte gekämpft hatte, hohe Bedeutung beigemessen. Deshalb finden sich in dem mit typischen Elementen der Zwischenkriegszeit eingerichteten Raum an den Wänden viele Zeichnungen von historischen Ereignissen aus der Geschichte Polens sowie Bilder von Königen und Nationalhelden. Eine dieser Zeichnungen zeigt eine Szene aus dem Leben der Slawen und die ursprüngliche Landschaft Polens. Auf der Zeichnung befinden sich u. a. folgende Inschriften: „Nach den Anweisungen von Prof. Dr. Witold Bunikiewicz“; „Abb. M. Gralewska“, „Serie LII. September 1934“. Im Vordergrund ist das Ufer eines Sees mit einem Waldfragment und zwei Figuren dargestellt. Die erste Gestalt ist ein blonder Mann in einem weißen Gewand, der in der einen Hand eine Axt und in der anderen einen Bogen hält. Der Mann steht in einer charakteristischen, im Profil gesehenen Pose, die an die Darstellung von Helden und Heldinnen auf antiken Vasen und Kunstwerken erinnert. Die zweite Person rechts im Bild ist eine junge Frau in einem weißen, wallenden Gewand mit zwei blonden Zöpfen. Sie steht mit erhobenen Händen neben einer Steinstatue von Światowid. In ihren Händen hält sie etwas, das einer Blumengirlande ähnelt. Im Hintergrund ist ein See vor dem Hintergrund eines Waldes abgebildet. Auf dem See wiederum befindet sich eine kleine Insel mit einer Holzhütte, die von einer Palisade umgeben ist. Vor dem Gebäude steht ein älterer Mann mit einem langen Bart, einem Gehstock, einem dunklen Gewand und einer Kapuze. Die gesamte Zeichnung ist in hellen Farben gehalten. Die beschriebene Tafel bezieht sich auf die Anfänge des polnischen Staates, die bis heute auf vielen Hypothesen beruhen und für viele Forscher ein Rätsel darstellen. Im Kontext des erwachenden deutschen Nationalismus in den 1920er und 1930er Jahren wurde eine wissenschaftliche Debatte über die Slawen durch politische und ideologische Überlegungen angeheizt. Besonders deutlich wurde dies im Zusammenhang mit den Ursprüngen der Slawen und ihrer sog. alten Heimat. Hier stießen zwei Theorien aufeinander: die autochthone und die allochthone. Demnach war die Wiege der Slawen das Land von der Oder bis zum Bug. Dieses Konzept wurde vor allem von polnischen Gelehrten gefördert, da es den Anspruch Polens auf die ehemaligen preußischen Teilungsgebiete legitimierte. Deutsche Forscher vertraten wiederum eine allochthone Theorie, nach der die Slawen aus dem Osten, den Gebieten der heutigen Ukraine, an die Weichsel (Wisła) kamen. Zu dieser Zeit sollen die heutigen polnischen Gebiete von germanischen Stämmen bewohnt worden sein. Der Widerhall dieser Diskussionen spiegelte sich insbesondere in einer erstaunlichen Entdeckung sowohl auf polnischer als auch europäischer Ebene wider. Im Jahre 1933 sank der Wasserspiegel des Biskupińskie-Sees infolge von Entwässerungs- und Bewässerungsarbeiten so stark ab, dass die Überreste von Befestigungsanlagen einer alten Siedlung zum Vorschein kamen. Einheimische Bauern fanden die Artefakte, ohne sich ihres archäologischen Wertes bewusst zu sein. Erst die Kinder der örtlichen Schule informierten ihren Lehrer Walenty Szwajcer über die seltsamen Funde, er wiederum machte die Sache publik. Hierbei handelte es sich um eine Lausitzer Siedlung aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., die heute ein Denkmal der polnischen Geschichte ist. Die Frage der ethnischen Zugehörigkeit Biskupins wurde für die oben erwähnten ideologischen Zwecke in den Auseinandersetzungen über die Rechte verschiedener Nationen auf das Gebiet des heutigen Polens angeführt. Heute ist man sich einig, dass die ethnische Zugehörigkeit der Lausitzer Kultur, wie die der meisten anderen prähistorischen archäologischen Kulturen, nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.
Lernhilfe „Kartoffelkäfer – Larven und erwachsene Insekten”
Sign.: MP/9227/E
Material: Holz, Papier, Glas, Kleber, präparierte Insekten
Maße: Länge 17 cm, Breite 16 cm, Höhe 3 cm
Datierung: 2. Hälfte des 20. Jhd.
Ursprungsort: Obidza bei Jazowsko (Woiwodschaft Małopolska (województwo małopolskie), Landkreis Neu Sandez (powiat nowosądecki))
Unter den zahlreichen Lernhilfen, die in der Schule von Nowe Rybie in einem für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichteten Klassenzimmer zusammengestellt wurden, hebt sich womöglich ein kleines rechteckiges Objekt hervor, welches sich zwischen anderen Exponaten auf einem Regal in einer Vitrine befindet. Es lohnt sich daher einen genaueren Blick auf diesen Gegenstand zu werfen, denn diese unscheinbare Kiste knüpft an eine Invasion einer fremden Gattung auf polnischen Boden an, die von den Behörden der Volksrepublik Polen in einer großen Propagandakampagne gegen die „amerikanischen Imperialisten“ eingesetzt wurde. Die kleine, flache, quadratische Kiste wurde aus Holz oder Sperrholz gefertigt. Die Seiten sind mit kastanienbraunem Papier mit konvexer Textur überzogen, welches an den Ecken durch schwarze Papierstreifen verstärkt wurde. Die Oberseite des Kastens ist mit Glas bedeckt, unter dem eine Karte aus dünnem weißem Karton zu sehen ist, auf der reihenweise Exemplare von Kartoffelkäfern in verschiedenen Entwicklungsstadien aufgeklebt wurden. Über den Käfern wiederum befindet sich in schwarzer kalligrafischer Handschrift der Titel: „Kartoffelkäfer“. Darunter sind 19 Käferlarven (eine fehlt) in zwei Reihen angeordnet und mit „Larven“ unterzeichnet. Unten sind vier Exemplare des Insekts im Erwachsenenstadium mit den charakteristischen gestreiften Flügeldecken zu sehen. Auch hier wurde vermerkt: „erwachsene Insekten“. Am Boden der „Vitrine“ befindet sich eine handschriftliche Aufschrift: „Hergestellt von: Schulleiter / Antoni Paluch / Szk. Podst. Obidza 1”. Die Kartoffel gelangte vom amerikanischen Kontinent nach Europa im Zeitalter der großen geografischen Entdeckungen. In Polen verbreiteten sie sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und wurden nur wenige Jahrzehnte später zu einem Grundnahrungsmittel der Landbevölkerung. Der Käfer ist der bekannteste Schädling dieses Gewächses. Er stammt ursprünglich aus Colorado in den USA und wurde um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wahrscheinlich versehentlich auf Schiffen mit Lebensmitteln nach Europa eingeführt. Die Käfer tauchten erstmalig Ende des 19. Jahrhunderts in den baltischen Staaten und im westlichen Teil Russlands auf. Die angegriffenen Orte waren Litauen und das Suwałki-Gebiet, wo der Ausbruch der Invasion eingedämmt wurde, da die Felder mithilfe von Öl angezündet wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen die Insekten in Europa in großer Zahl aufzutreten, zunächst in Frankreich in den frühen 1920er Jahren, später auch in anderen Teilen des Kontinents. In Polen traten sie bereits am Ende der Zwischenkriegszeit sporadisch und dann in größerer Zahl nach Kriegsende auf. Es wird vermutet, dass das Insekt während der Besatzungszeit mit Kartoffellieferungen aus Deutschland für die in unserem Land stationierte deutsche Armee eingeschleust worden sein könnte. Die erste große Invasion von Kartoffelkäfern fand 1950 statt. Seither ist dieses Insekt der größte Schädling der Kartoffelkulturen. Die Behörden der Volksrepublik Polen setzten den Käfer zu Propagandazwecken ein, indem sie ihn als „politischen Schädling“ präsentierten. Die sozialistischen Machthaber behaupteten in ihrer Narration nämlich, die Insekten seien von „westlichen Imperialisten“ aus Flugzeugen auf polnischem Gebiet abgeworfen worden. Damals basierte der Kampf gegen den Schädling auf massenhaften, von oben nach unten durchgeführten Insektensammelaktionen auf dem Feld durch Schüler und die Armee, bevor sich in späteren Jahren chemische Pflanzenschutzmittel durchsetzten. Die Bevölkerung wurde auf Dorfversammlungen aufgeklärt, es gab zahlreiche Plakate, Proklamationen und Artikel in der Presse (vor allem in der „Trybuna Ludu“) sowie Publikationen für Weiterbildungen. Auf dem Titelblatt der Broschüre „Stonka ziemniaczana“ („Kartoffelkäfer“) von Z. Kowalska aus dem Jahre 1951 wurde ein Insekt während eines Fallschirmsprungs abgebildet. Im Hintergrund sieht man zudem ein Flugzeug, das eine „Vielzahl“ von weiteren Käfern abwirft. Spätere Käferbefälle wurden von den Behörden als „Ablenkungsmanöver der Feinde des Sozialismus“ erklärt, das Auftreten des Insekts wurde wiederum als Hauptgrund für die Lebensmittelknappheit auf dem Markt in den 1950er Jahren angesehen. Das Käferkabinett in der Schule in Nowe Rybie wurde vom Schulleiter als Unterrichtsmaterial vorbereitet; schließlich sollten die Schüler, die zum Sammeln von Käfern ausgeschickt wurden, wissen, wie dieses Insekt in den verschiedenen Entwicklungsstadien aussieht, damit sie es besser von den Pflanzen entfernen konnten. Diese kleine Schachtel ist daher ein interessantes Zeugnis aus einer Zeit, in der sogar Insekten für aggressive politische Propaganda eingesetzt wurden.